Dorfweihnacht

Eine Ländliche Weihnachtsgeschichte von Traudl Wirsing

Nur wenig Licht fällt durch die trüben Fensterscheiben in die niedrige Stube. Aus dem alten Ofen, der schief und rostig mitten im Raum steht, ist das Knistern und Knacken von brennenden Holzscheiten zu hören. Ein hagerer Mann mit leicht gekrümmtem Rücken hat gerade Brennholz aus dem Schuppen geholt. Jetzt hängt er seine Joppe über die Ofenstange und geht humpelnd zum Küchentisch. „Ihr müsst heut alleine zur Christmette gehen“, sagt er und schaut die vier Mädchen, die sich wie Orgelpfeifen auf der schmalen Küchenbank aneinandergedrückt haben, der Reihe nach ernst an.

„Ihr versteht doch, dass ich hier bei eurer Mutter bleiben muss.“ Die Mädchen senken die Köpfe und nicken. „Liesel, du als Älteste passt auf deine Schwestern auf. Dass ja nichts passiert! – Nehmt die zwei Laternen und ein paar Streichhölzer mit und haltet euch genau an den Weg.“

Liesel weiß um ihre Verantwortung. Seitdem sich der Vater letztes Jahr das Bein gebrochen hat, ist vieles anders geworden. Und seitdem ihr kleiner Bruder nicht mehr da ist, kränkelt die Mutter. Liesel blickt besorgt zu der Bettstatt im hinteren Teil der Stube. „Macht euch jetzt fertig und betet in der Kirche zu Gott, dass er die Mutter recht bald wieder gesund macht und …“ Der Vater zögert ein wenig. „Und grüßt den Hansi von uns.“

Geduldig hilft er den Mädchen beim Anziehen der Wintersachen und achtet darauf, dass die Mäntel ordentlich zugeknöpft und dicke Schafwollsocken über die Strumpfhosen gezogen werden. Die Mutter hat sich ein wenig im Bett aufgerichtet und lächelt tapfer. Dann sind die vier Mädchen auf sich allein gestellt. Der heftige Schneefall der vergangenen Tage hat den schmalen Waldweg verweht und so sinken sie bei jedem Schritt bis an die Knie ein.

Deswegen stapft Liesel voraus und tritt für ihre jüngeren Schwestern mühsam eine Spur. Sie kommen nur langsam vorwärts.

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Die Dämmerung bricht bereits herein, als sich endlich der Wald zu lichten beginnt und den Blick auf das kleine Dorf oben auf der Anhöhe freigibt. „Kommt der Hansi auch in die Christmette?“, fragt Vroni.
„Ganz bestimmt“, antwortet Liesel und drückt ihre jüngste Schwester kurz an sich.
„Darf er dann mit uns heimgehen?“ Liesel schüttelt traurig den Kopf.
„Ich glaube nicht, dass die Bäuerin das zulassen wird.“ „Ich will aber, dass er wieder bei uns ist!“
Vroni ist stehen geblieben und stampft entschlossen mit dem Fuß. „Vroni, du weißt doch, dass das nicht geht.“
„Er … er fehlt mir so!“ In den strahlend blauen Augen des zarten Mädchens schwimmen dicke Tränen, ihr Kinn zittert.
„Er ist doch mein Bruder.“ Liesel nimmt sie auf den Arm und streichelt ihr tröstend über den Rücken, als die Kleine verzweifelt zu schluchzen beginnt.

Auch Mariele und Kristine, die Zwillinge, drücken sich stumm an Liesel und Vroni. Nach einer Weile hat sich Vroni beruhigt. Liesel putzt ihr aufmunternd die Nase:
„Komm, wir müssen uns beeilen, damit wir nicht zu spät zur Christmette kommen!“ Mariele und Kristine nehmen nun die kleine Schwester in die Mitte und erzählen ihr abwechselnd und mit großem Eifer die Geschichte vom Jesuskind, das in einer Krippe in einem Stall zur Welt gekommen ist, sie erzählen von den Hirten auf dem Feld und dem Stern von Bethlehem. „So einen langen Schweif hat der gehabt“, berichtet Mariele und reißt die Arme weit auseinander.
„Ja“, ergänzt Kristine „ und mit dem Schweif hat er den Weisen aus dem Morgenland den Weg zum Jesuskind gezeigt.“ Jetzt haben sie das Dorf erreicht. Aus allen Richtungen treffen fast gleichzeitig Leute aus der Nachbarschaft und aus den umliegenden Weilern ein.
Schon von weitem wird gegrüßt: „He, der Draxl Sepp lässt sich auch mal wieder blicken!“ und wie ein Lauffeuer verbreiten sich die allerneuesten Neuigkeiten und die unglaublichsten Gerüchte. Die Kinder sind wie jedes Jahr an Weihnachten vollkommen überdreht.

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Von den Müttern oder den Hausmägden unerbittlich mit Kernseife geschrubbt und in das feine Feiertagsgewand gesteckt, fiebern sie mit kühnsten Erwartungen der Bescherung zuhause in der guten Stube entgegen. Schüchtern und still bleiben die vier Mädchen nahe der Kirchentür stehen.
Der Vater hat ihnen schon gesagt, dass das Christkind wohl auch dieses Jahr den Weg zu ihrem Haus nicht finden wird. Plötzlich tut sich was an der Auffahrt zum Kirchplatz. Neugierig drehen alle die Köpfe und staunen über den ankommenden Pferdeschlitten. „Hehe, der Wastlhuber hat schon wieder zwei neue Rösser!“

Die Frauen tuscheln und recken die Hälse, um die korpulente Bäuerin, die im pelzbesetzten Lodenmantel hoch erhobenen Hauptes vom Schlitten steigt, in Augenschein zu nehmen. Aufmerksamkeit heischend wendet sich diese mehrmals nach allen Seiten. Der Bauer geht schnurstracks auf die umstehenden Leute zu. Mit kräftigem Handschlag begrüßt er die Männer und zieht vor den Frauen respektvoll den Hut.
Nun eilt er zum Schlitten zurück und hebt liebevoll einen kleinen Buben hoch.

„Magst noch mal den Schwarzen streicheln?“ Das eifrige Nicken des Kindes entlockt ihm ein herzliches Lachen.

Wachsam hält er das Pferd am Zügel, während die kleinen Hände in den neuen, mit Leder besetzten Handschuhen ungeschickt über den mächtigen Pferdekopf streicheln. „Versorg die Rösser“, weist er schließlich den Pferdeknecht an und gesellt sich mit dem Buben auf dem Arm zu den Dorfleuten. „Gib mir das Kind“, ist da die schneidende Stimme der Bäuerin zu vernehmen.

Sie packt den Jungen, der sich ängstlich an den Bauern klammert. „Meine Leut sollen auch sehen, dass wir jetzt ein Kind haben - den künftigen Jungbauern!“

Sie zieht den verschreckten Buben hinter sich her und stapft auf eine Personengruppe zu.
„Da, schaut´s her, das ist unser Hansi! Schaut´s, was ich dem für ein schönes Gewand hab machen lassen!“ Sie rudert wild mit den Armen, dreht den Hansi mal so, mal anders rum und redet ohne Punkt und Komma. „Seit August ist er jetzt schon bei uns“, erzählt sie ihrer Schwägerin, die ihr an Neugier und Geschwätzigkeit kaum nachsteht.

„So dünn wie ein Faden ist er gewesen als ihn der Bauer von dem Taglöhner abgeholt hat und nichts am Leib als ein paar Stofffetzen hat er gehabt und gesagt hat er auch keine Silbe und aufgepäppelt hab ich ihn und ihm was Gescheites zum Anziehen besorgt und ein eigenes Zimmer hab ich ihm auch herrichten lassen und …“
Die restlichen Worte gehen im alles übertönenden Glockengeläut unter. Während sich die Leute dicht gedrängt durch die Kirchentür schieben, stehen Liesel und ihre drei Schwestern wie erstarrt. Sie sehen die Bäuerin wild gestikulierend in ein Gespräch vertieft und an ihrem ausgestreckten Arm den kleinen Hansi, der kaum Schritt halten kann. „Hansi!“, ruft Vroni und möchte auf ihn zurennen. Liesel hält sie fest. „Du weißt, dass das die Bäuerin nicht will!“

Aber da hat Hansi seine Schwestern entdeckt. Sofort reißt er sich los und stürmt auf Vroni zu, die ihn überglücklich an sich drückt. Auch Kristine und Mariele umarmen ihn so fest, dass ihm fast die Luft wegbleibt. „Lasst sofort das Kind los“, kreischt die Bäuerin und packt die zwei Mädchen so hart am Oberarm, dass es ihnen die Tränen in die Augen treibt. „Her da“, schnauzt sie dann Hansi an und schleift den weinenden Buben in die Kirche. Jetzt steht der Bauer vor den vier Schwestern. Er weiß nicht, was er sagen soll. Deshalb nickt er nur und geht mit gesenktem Kopf durch die Kirchentür.
Nie im Jahr ist die Kirche schöner und festlicher geschmückt als an Weihnachten. Die Mädchen staunen über die Vielzahl der Lichter, die alles in einen so wunderbar warmen Schein tauchen, über die große Krippe mit den lebensecht bemalten Figuren und über den mit roten Kugeln behängten Tannenbaum. Der Pfarrer hat das prächtigste Messgewand angelegt und Jung und Alt singen voller Andacht die schönsten Weihnachtslieder. Hansi sitzt ganz vorne bei den reichen Bauernfamilien, während seine Schwestern in der letzten Bankreihe Platz genommen haben.

Immer wieder dreht er sich suchend um und jedes Mal versetzt ihm die Bäuerin einen Stoß mit dem Ellbogen.
Liesel beißt sich auf die Lippen. Am liebsten würde sie nach vorne rennen und der Bäuerin den Hansi wegnehmen und ihr vor der ganzen Gemeinde sagen, was für eine dumme und bösartige Person sie ist. Aber sie weiß auch, was der Vater gesagt hat: Der Bauer hat viele Jahre lang vergeblich auf eigene Kinder gehofft. Jetzt hat er den Hansi, und der wird es gut bei ihm haben. Dass der Wastlhuber den Hansi an Kindes statt annehmen wollte, hatte bei einigen im Dorf unverhohlenen Neid geweckt. Ausgerechnet der Fratz vom Rieder Hans! Da hätt sich schon eine bessere Herkunft finden lassen! Andererseits wollte auch das Gerücht nicht verstummen, der Bauer hätte beim Rieder noch eine Schuld zu begleichen. Die Geschichte sollte lange zurückliegen.
Keiner wusste was Genaues. Was für ein Hallodri der Wastlhuber in seiner Jugend angeblich gewesen wäre, darüber spekulierte man selbst jetzt noch halbe Nächte lang am Stammtisch beim Dorfbräu. Die Mutter hatte nicht mal den allerwinzigsten Gedanken daran zugelassen, den Hansi hergeben zu müssen. Es würde schon irgendwie gehen! Nie, niemals durfte die Familie auseinander gerissen werden! Trotz aller Anstrengungen, die unternommen wurden, musste sie jedoch im Laufe der Zeit einsehen, dass der Vater seit seinem Unfall viele Arbeiten nicht mehr annehmen konnte und dass das Geld nicht hinten und nicht vorne reichte. Aber ein gerade mal vier Jahre altes Kind weggeben müssen …!

Seitdem der Hansi vom Bauern abgeholt worden war, hatte sich die Mutter verändert. Sie, die immer Zuversicht und Fröhlichkeit verbreitet hatte, zeigte sich plötzlich in sich gekehrt, hohlwangig und kränklich. Immer wieder musste der Vater zuhause bleiben und die Mädchen und das Hauswesen versorgen, weil sie zu schwach war. Jetzt lag sie seit Tagen mit hohem Fieber im Bett und Liesel wusste, dass sich der Vater große Sorgen um sie machte. Tag und Nacht schaute er nach ihr, legte ihr kühlende Wickel auf, flößte ihr heißen Kräutertee ein und quälte sich dazu mit den schlimmsten Selbstvorwürfen, weil kein Geld für einen Arzt da war. Der Mesner liest mit leiernder Stimme die Fürbitten vor. „Gewähre allen Gläubigen ein friedvolles Weihnachtsfest.“ „Wir bitten Dich, erhöre uns.“ Ein paar ältere Frauen haben die mitgebrachten Wachsstöcke angezündet. „Schenke allen Notleidenden Trost und Hilfe.“

„Wir bitten Dich, erhöre uns.“ Da schießt Liesel plötzlich eine Idee durch den Kopf. Wenn sie jetzt … Nein, nein, das geht auf keinen Fall! Aber sie könnte doch … Nein, das traut sie sich nicht. Wenn ich doch ein bisschen mehr Courage hätte …! Jesuskind, hilf mir! Lass mich mutig sein, lass mich bitte dieses eine Mal mutig sein! Ihr Herz rast und hämmert in der Brust, so dass sie fürchtet, gleich tot umzufallen. Sie kann ihre Beine nicht bewegen, und dennoch springt sie im nächsten Augenblick aus der Kirchenbank und läuft nach vorne, vorbei an erstaunten Gesichtern, die sich ihr zudrehen, vorbei an dieser eingebildeten Person, die ihr den kleinen Bruder weggenommen hat. Zitternd und atemlos stellt sie sich neben den Mesner, dem die nächste Fürbitte im Hals stecken bleibt. Sie kann nicht sprechen, ihre Knie schlottern zum Gotterbarmen, alles dreht sich. Trotzdem hört sie sich selber im nächsten Augenblick laut und deutlich sagen:
„Gott im Himmel, gib meiner Mutter ganz schnell wieder Gesundheit und Lebensfreude. Hilf meinem Vater, dass er eine gute Arbeitsstelle findet, damit er unsere Familie wieder versorgen kann und … und mach, dass mein kleiner Bruder wieder zu uns nach Hause kommt.“ Niemand rührt sich. Alle starren. Der Mesner hüstelt nervös und zerrt an seinem Kragen. Mit hochrotem Kopf ringt der Bürgermeister in der ersten Bankreihe nach Worten, findet aber keine.

„Wir bitten Dich, erhöre uns“, betet der Wastlhuber. Die Leute werfen die Köpfe rum, einige raunen und flüstern. Entrüstet stemmt die Wastlhuberin die Hände in die Hüften. Unbeirrt erhebt da der Bauer erneut seine Stimme: „Herr im Himmel, nimm Dich der Kinder an, die voller Mut und Liebe um das Wohlergehen ihrer Familien kämpfen.“
„Wir bitten Dich, erhöre uns.“ Das sind die kräftigen Stimmen von Kristine und Mariele, die die kleine Vroni in ihre Mitte genommen und sich bis zu den mittleren Bankreihen vorgewagt haben. Liesel strahlt über das ganze Gesicht. Was für eine Courage! Sie ist so stolz auf ihre Schwestern! Um seine Autorität fürchtend greift jetzt der Pfarrer ins Geschehen ein. „Amen, Amen“ ruft er. „Der Herr hat unsere Bitten gehört. Er sei uns allen gnädig und schenke uns Barmherzigkeit und Frieden.“ Erhobenen Hauptes geht Liesel zurück zur letzten Bankreihe. Sie ist unendlich erleichtert. Sie hat sich getraut, vor allen Menschen Gott um den Schutz ihrer Familie zu bitten und sie ist sich sicher, dass der Bauer ihre Fürbitte verstanden hat. Nach der Mette drängeln alle raus zum Kirchplatz.

Die Mädchen haben die Laternen angezündet und rüsten sich für den Heimweg. Da kommt die Danglbäuerin auf sie zugeeilt. Freundlich klopft sie Liesel auf die Schulter: „Dein Mut und deine Ehrlichkeit – das hat mir sehr gefallen. Da dürfen deine Eltern stolz auf dich sein. – Äh, übrigens, richte deinem Vater aus, er soll bei uns vorbeischauen, wenn es deiner Mutter wieder besser geht. Ich glaub, wir haben eine Menge Arbeit für ihn. Der Hans weiß sich ja mit allem zu helfen.“ Danach wünscht sie den Mädchen noch schöne Weihnachten und lässt Genesungswünsche an die Mutter ausrichten. Liesel könnte vor Freude Luftsprünge machen. Sie kann es kaum erwarten, den Eltern die gute Nachricht zu überbringen. Jetzt wird doch wieder ein wenig Glück zuhause Einkehr halten. „Was ist denn mit eurer Mutter?“ Dr. Maier, der allseits geachtete Landarzt, blickt die Mädchen ernst an. „Sie hat Fieber, schon die ganze Woche“, antwortet Kristine schnell und Mariele ergänzt: „Und einen furchtbaren Husten.“ Den Kopf wiegend und sich mehrfach räuspernd meint er schließlich: „Ja, da werde ich am besten gleich noch bei eurer Mutter vorbeischauen.“ Kann denn so was möglich sein? Die drei jüngeren Schwestern jubeln und strahlen wie Honigkuchenpferde von einem Ohr zum anderen. „Wir haben kein Geld“, sagt Liesel leise und lässt den Kopf hängen. „Darüber braucht ihr euch keine Gedanken machen. Da findet sich dann schon eine Lösung.“ Jetzt sind die Mädchen nicht mehr zu halten. Freudentränen stürzen aus ihren Augen, aus Dankbarkeit schüttelt Liesel dem Arzt die Hand so lang und so heftig, dass er ihr Einhalt gebieten muss. Unbemerkt von den Schwestern hat der Wastlhuber alles mitverfolgt. Jetzt zieht er Dr. Maier unauffällig zur Seite und raunt ihm ins Ohr:
„Ich bin dir sehr dankbar, Magnus, dass du dich gleich noch um die Cilla kümmern willst. Hoffentlich ist sie ganz schnell wieder auf dem Damm.“ Etwas verlegen kratzt er sich dann hinterm Ohr: „Weißt, mir ist nicht so ganz wohl bei der Sache. Ich muss da was gut machen… Wir hätten das mit dem Hansi ganz anders anpacken sollen.“

Der Arzt nickt zustimmend. Ja, ja, der Wastlhuber ist schon in Ordnung, der hat das Herz am rechten Fleck. „Die Kosten übernehme selbstverständlich ich. – Und gib dem Hans und der Cilla Bescheid, dass ich hernach die Mädchen und auch den Hansi mit dem Pferdeschlitten heimbringe. Alles Weitere wird sich dann schon finden.“ Still hat sich Hansi hinter der Bäuerin, die mit ihrer Tratscherei so gar kein Ende finden kann, auf den Boden gehockt und zeichnet mit einem kleinen Stock Muster in den Schnee. Der Wastlhuber hebt ihn lächelnd hoch und trägt ihn huckepack zum Schlitten, wo er ihn in eine dicke Decke wickelt. „Bin gleich wieder da!“ ruft er. Dann stampft er mit energischen Schritten auf die Bäuerin zu. Ohne sich um die gaffenden Leute zu kümmern, gibt er ihr mit harschen Worten zu verstehen, dass er den Hansi und seine Schwestern zur Cilla und zum Hans heimbringen wird, und dass sie heut Abend nicht auf ihn zu warten braucht. Und dass sich ab sofort einiges gewaltig ändern werde. Wie da die Bäuerin vom Leder zieht! So lasse sie nicht mit sich umspringen! Wer da jetzt wohl wichtiger sei, sie oder der kleine Fratz?

Das Gesicht des Bauern nimmt eine dunkelrote Färbung an, als er ihr bebend vor Zorn verdeutlicht, dass sie schauen soll, wie sie von der Christmette heimkommt, denn auf dem Schlitten sei für sie kein Platz mehr. Und dass sie jederzeit gehen könne, wenn es ihr auf dem Hof nicht mehr passe. Wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappend bringt die Bäuerin ihre ganze Entrüstung zum Ausdruck, aber erstaunlicherweise kommt kein einziger Ton aus ihrem sonst so geschwätzigen Mundwerk. Bis zur Nasenspitze eingepackt in wollige Decken sitzt Liesel wenig später mit ihren Schwestern, dem Hansi und dem Wastlhuber auf dem Pferdeschlitten. So unvorstellbar glücklich war sie noch nie. Der Hansi redet wie ein Buch. Ständig verhaspelt er sich, weil er den Schwestern am liebsten alles auf einmal erzählen möchte.

Am meisten haben es ihm die neuen Rösser angetan. Die Augen des Bauern haben einen seltsamen Glanz bekommen. So hat er seinen Buben noch nie erlebt. Was für ein aufgeweckter kleiner Kerl! Der Wastlhuber muss sich ein paar Mal kräftig schnäuzen und gelegentlich über die Augen wischen. Er weiß gar nicht, was heute mit ihm los ist! So unglaublich hell und klar ist die Nacht, dass man sich an dem endlosen Sternenmeer gar nicht satt sehen kann. In tiefem Frieden liegt die wunderbar verschneite Landschaft. „Stille Nacht, Heilige Nacht“, denkt der Wastlhuber und möchte am liebsten ewig so weiterfahren. „Das ist aber die falsche Richtung!“, ruft Liesel plötzlich, als der Pferdeschlitten nach einer Weggabelung nicht auf den gewohnten Heimweg einbiegt. „Aber nein“, schmunzelt der Wastlhuber. „Genau da geht es lang! – Wir müssen doch nachschauen, was das Christkind dem Hansi gebracht hat. Und ganz bestimmt hat es für dich und deine Schwestern bei uns in der Speiskammer und in der Nähstube auch was dagelassen!“ „Das Christkind??“, staunt Vroni und ihre Augen werden dabei so groß und rund, dass alle lachen müssen.
„Freilich, das Christkind!“, ruft der Bauer strahlend. Er kann gar nicht begreifen, welch unglaubliche Freude plötzlich über ihn gekommen ist.